„Endlich am Strand angekommen, auch wenn es nicht das Meer ist… noch nicht…“, denke ich mir.
Irgendwo, wenige Kilometer hinter der Niederländisch-Deutschen Grenze, mit Blick über den Rhein, habe ich mein Zeltlager aufgeschlagen, genieße einen Becher voll Rotwein und sehe den Schiffen beim passieren zu.
Hinhorchen und Aufhorchen, heißt das Motto für mich heute Abend.
Die Wellen glätten den Sand vor meinen Füßen, sodass ich am liebsten direkt reinspringen würde. Aber das traut sich nur einer von uns beiden… Dem Woody ist die Kälte egal. Er ist abgebrüht, tollt am Ufer entlang und blickt immer wieder her, so als würde er mir zu verstehen geben wollen, wie wohl er sich fühlt. Ich nehme mir noch einen Schokokeks und sehe einen Schwarm Zugvögel über den Rhein Vorbeischweben.
Vogelfrei, dorthin fliegen, wohin es einen zieht.
So fühle ich mich auch gerade und genau so habe ich es mir vorgestellt. Natürlich wusste ich vorher, dass es kein Sommer-Bade Urlaubs- Bike-Out -flug wird, aber wie mein guter Freund Luiz zu mir, am Abend vor meiner Tour zu verstehen gegeben hat, bin ich „zum Glück kälte-unempfindlich“. Nichtsdestotrotz möchte ich schwimmen gehen… nicht Heute, aber wenn ich an meinem Ziel ankomme – am Ende des Rheinradweges – werde ich ins Meer springen. Immerhin habe ich meine Badehose mitgenommen!
„Nur zu blöd, dass ich gerade Heute mein einzig großes Handtuch auf der Fahrt verloren habe…“
Ich nehme noch einen großen Schluck von meinem kalten 2-Euro-Lidl Rotwein und frage mich, warum ich mich nicht schon früher so frei fühlen konnte. Das zu tun, was einem wirklich am Herzen liegt, dorthin zu gehen, wohin man gerne hin möchte, die Menschen (oder Tiere) an seiner Seite zu haben, die einem die Welt bedeuten und es Ihnen zu sagen… All das fällt einem heutzutage viel zu schwer, glaube ich. Doch ich habs geschafft.
Zumindest im Moment, zumindest für kurze Zeit…
In meinen Gedanken plane ich schon die nächsten Touren, die ich gerne unternehmen möchte.
Der Jakobsweg von Deutschland bis Santiago de Compostela, wäre eine davon. Immerhin bin ich heute schon einige wenige Kilometer davon mit meinem Host aus dem Natuschutzzentrum Kleve/Bienen und einem seiner Freunde gewandert, den ich auf keinen Fall als Bruder Lukas in meinem Blog vorstellen darf. Die Muscheln an den Bäumen haben mich so sehr inspiriert, dass diese definitiv irgendwann kommen wird. Nach Norwegen, Schottland, Irland, Belgien, Spanien, Frankreich, Asien, Afrika, und und und… Ich grüble über all diese Ziele und werde ganz aufgeregt, bei den Gedanken daran, mir diese unglaublichen Erfahrungen vorzustellen.
Doch möchte ich nicht in der Zukunft leben. Ich schaue zu Woody, der mittlerweile an meinen Füßen sitzt und das Ufer entlang blickt, als würde dort ein Leckerbissen vorbeifliegen…
Auf und ab… Auf und Ab… Hier und jetzt…
Die Ruhe, die Gelassenheit, die dieser Ort ausstrahlt übertrumpft all das, was mich in den letzten Monaten, ja sogar Jahren beschäftigt hat und nicht-stillhalten lies. Woodys Ruhe, seine langsame und ruhige Atmung, die ich sehen, ja fast schon hören kann, lässt auch mich immer ruhiger werden.
Ich kehre also wieder in mich und denke an die vergangenen beiden Tage.
Gestern Abend fuhr ich, auf der Suche nach einem geeigneten Platz um mein Zelt aufzuschlagen, durch einen Ort nach dem anderen. Noch bevor ich diesen fand, kam mir eine Gruppe entgegen, die einen Bollerwagen mit lauter Radio-Popmusik und eine ordentliche Bierfahne mit sich zogen.
„Komm her, nimm dir n Bier in die Hand!“, rief einer von Ihnen. Gesagt, getan.
Eine Flasche Bier in der einen, das Fahrrad in der anderen, schlenderte ich nun mit.
„Wo pennst n mit dem ganzen Kram?“
Nachdem ich ihnen erklärt hatte, dass ich gerade auf der Suche danach war, bot mir einer direkt ein Bettchen an. Die einzige Bedingung war: ich muss Bier trinken. „Das kann ich“, sagte ich laut grinsend und nahm noch einen großen Schluck aus der Flasche. Die Gruppe war dabei ein Spiel zu spielen, in dem es irgendwie darum ging zwei Holzbälle in zwei Teams vor sich hinzuwerfen und betrunken zu werden. Mehr hab ich nicht wirklich verstanden, nur soviel, dass es „Boßeln“ hieß und das Ziel ein Bauernhof sein sollte, in dem ein paar Stehtische, noch mehr Bier und Bockwürstchen vorhanden waren. Davon hab ich mir natürlich direkt fünf Stück reingeworfen. Von den Würstchen ebenfalls. Am späten Abend ging es dann mit meinem Host Johannes ins Naturschutzzentrum und ich konnte schon in meiner zweiten Nacht unterwegs wieder in einem richtigen Bett schlafen und morgens warm duschen gehen.
Wunderbar, warm, toll!
Anstatt, dass ich jedoch direkt am morgen wieder aufbrechen wollte, habe ich mich an den Hobby-Biologen und FÖJ-ler gehangen, der mit seinem Freund Lukas einen bestimmten Vogel und einen Bergmolch aufsuchen und fotografieren wollte. Das Fahrrad, den Anhänger und uns im guten alten T3-VW Bulli verstaut, ging es also los in Richtung… irgendwo.
Die „Heidelerche“, welche wir tatsächlich auch mehrfach gefunden haben, würde ich Laie als kleinen hyperaktiven Pummelvogel beschreiben, dem das Ritalin ausgegangen ist. Irgendwie erinnerte er mich etwas an Woodys pubertäre Zeit…
Das Moor, was meiner Meinung nach nur ein kleiner Tümpel mit schwarzem Wasser und Ästen mitten im Wald war, haben wir nach etwa einstündiger Pilgerphase auf dem Jakobsweg ebenfalls entdeckt und konnten auch einen „Bergmolch“ ergattern, den wir anschließend aufgeregt und enthusiastisch fotografiert haben. Auch hier versuche ich mich mal als Bio-Laie und würde sagen, dass er als sehr hübsche und elegante Amphibie eher in die Art der Emo-Pets einzuordnen wäre: Hauptsache schnell wieder ins dunkle.
Auf der Rückfahrt hielten wir dann in Kleve an und gingen noch eine Kleinigkeit essen. Diejenigen, die mich kennen, wissen natürlich was ich mit einer Kleinigkeit meine. Nach zwei Portionen Pommes-weiß, zwei Zigeunerschnitzeln und einem Absackerbierchen ging es dann auf zum Deich, an dem mich mein Host rauslassen wollte. Nach einer herzlichen Umarmung und den obligatorischen „Ich will noch Fotos von euch machen“-Fotos ging es dann weiter in Richtung Holland.
Nach gut einer Stunde fahrt, es war mittlerweile 18 Uhr, habe ich nach einem geeigneten Platz zum Campen Ausschau gehalten und diesen wunderbaren, tollen kleinen Platz hinter einer Düne entdeckt. Ich freue mich jetzt schon auf den Morgen, wenn ich aus meinem Zeltfenster blicke und meinen Kaffee mit der aufgehenden Sonne über dem Rhein genießen kann.
Mal sehen, wo es mich die nächsten Tage und Abende hin verschlägt, welche Menschen ich kennen lernen darf und was für ungeahnte Erfahrungen ich auf meiner weiteren Reise machen darf.